Japan: klassenorientierte „Doro-Chiba“-Strömung breitet sich aus

„Doro-Chiba-Strömung“ ist der Ausdruck für eine wachsende antikapitalistische Basisbewegung in Japan, deren Kern die klassenorientierte und kämpferische Regionalgewerkschaft Doro-Chiba darstellt,  und die auch zu den AKW-Gegnern der ersten Stunde in Japan (nicht erst seit der Havarie des Reaktors Daichi in Fukushima
Es gelang mir, mit einer Kollegin und Genossin dieser Strömung ein Interview per Mail zu vereinbaren. Von einigen Besuchen in Japan seit 2009 sind mir die Genossin und viele andere auch persönlich bekannt.

In diesem Jahr im September steht auch ein Besuch einer Delegation von Basisaktivisten dieser Bewegung in Deutschland an.

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1. Du bist Mitglied einer Bewegung in Japan im Umfeld der regionalen Eisenbahnarbeitergewerkschaft Doro-Chiba, welche ihrerseits starke Verbindungen mit dem historischen Zengakuren Studentenverband und mit der Bewegung gegen Atomkraftwerke (Kürzel NAZEN).

Ja. Ich bin Mitglied einer mit Doro-Chiba verbundenen Gewerkschaft, der Tokyo-Seibu Union (Apparel General Union branch, Textilarbeiter-Branche), die Doro Chiba unterstützt und mit ihr verbündet ist. Ich bin außerdem gewählte Generalsekretärin von NAZEN, einer Bewegung gegen Atomkraft werke, die überall in Japan Stützpunkte und Gruppen hat.

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2. Die Bewegungen in Japan sind nahezu unbekannt in der linken Szene und unter Arbeiteraktivisten in Deutschland. Kannst du mir einige Fakten über diese Bewegungen sagen, ihre Geschichte, ihre Forderungen und ihre Ziele?

Die japanischen Eisenbahnen waren immer staatseigen gewesen. Aber vor 29 Jahren entschied die Regierung, die Japanische Staatsbahn zu zerteilen und zu privatisieren in verschiedene Unternehmen (diese nennen sich alle „JR“ – Japanese Railway). Die wahre Intention der japanischen Regierung damals aber war, die japanische Gewerkschaft der Eisenbahnarbeiter zu schwächen, welche die stärkste in ganz Japan war (Diese Gewerkschaft hieß DORO). Die ursprüngliche Eisenbahngewerkschaft DORO brach darüber auseinander und zerfiel, nur DORO-CHIBA (DORO Regionalverband der Prefektur Chiba) entschied sich zu kämpfen und streikte gegen die Privatisierung. 1047 Eisenbahnarbeiter (die gesetzesmässig nicht kündbar waren) wurden damals gekündigt. DORO-CHIBA war auch die einzige Gewerkschaft innerhalb der japanischen Eisenbahnen, die gegen die Kündigungen kämpften, während andere Gewerkschaften nur „verhandelten“ (ergebnislos), aber niemals dagegen wirklich kämpften, und zwar mit Streik.

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3. Wir haben gehört, dass die DORO Eisenbahnergewerkschaften derzeit expandieren und sich verbreiten. Bislang kannten wir nur DORO-CHIBA (Prefektur Chiba) und DORO -MITO (Prefektur Ibaraki). Wie ist die Situation jetzt?

DORO-TAKASAKI, DORO-NISHINIHON, DORO-KANAGAWA, DORO-NIIGATA, DORO-KYUSHU, DORO-HOKKAIDO und DORO-FUKUSHIMA wurden bereits organisiert. Derzeit wird gerade DORO-TOKYO gegründet.

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4. Was sind die aktuellen Kämpfe der Eisenbahner-Bewegung? Bitte sag mir einige Fakten.

Letztes Jahr sprach der japanische Oberste Gerichtshof sein endgültiges Urteil in Sachen der 1047 Eisenbahn-Arbeiter. (Erläuterung: Dieses in Japan bekannte Gerichtsverfahren hatte die Entlassung von 1047 Eisenbahnarbeitern im Rahmen der Privatisierung der Japanischen Staatsbahn und des Widerstandes der Arbeiter dagegen als Fall). Die Entlassung der 1047 Arbeiter war demnach illegal und unrechtmässig. Dies war eine unfaire Arbeitspraxis im Sinne des japanischen Gewerkschaftsgesetzes.

DORO-CHIBA (die traditionsreiche Eisenbahnergewerhschaft in der Prefektur Chiba) kämpft aktuell gegen „irreguläre (prekäre) Beschäftigung“ und „Outsourcing“, und zwar weil diese die wichtigsten Gründe für die Gefährdung und Infragestellung der Bahnsicherheit darstellen. Es gab in jüngerer Zeit viele ernste Eisenbahnunglücke bei den Eisenbahngesellschaften (diese sind heute in mehrere privatisierte regionale Teilgesellschaften unterteilt, wie z.B. JR-Ost, JR-West usw.).

Kürzlich hat DORO-CHIBA befristete Arbeiter von CTS organisiert (CTS ist ein Subkontraktor von JR-Ost, an den essentielle Serviceleistungen der Bahn kostensparend „outgesourct“ wurden). Es handelt sich um den seltenen Fall, dass eine Gewerkschaft festangestellte und befristete (prekäre) Arbeiter in der gleichen Organisation vereint.

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Einen bedeutenden Erfolg errang kürzlich auch der Studentenverband Zengakuren, der seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts mit Doro-Chiba, bzw. seinem Vorläufer verbündet ist. Aufgrund einer Antikriegsaktion (Vorlesungsstreik) von Zengakuren an der Universität Kyoto im letzten November waren Februar/März 2016 sechs Studentenführer verhaftet worden wegen „Störung des Geschäftsbetreibes“ (der Universität!). Diese mussten unterdessen wieder freigelassen werden.

siehe hierzu:
https://nemetico.wordpress.com/2016/03/24/japan-repression-gegen-antikriegs-bewegung-der-studenten-von-zengakuren-und-erfolgreicher-widerstand/